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Der Einkauf im Supermarkt – Zeugnis der Zeitgeschichte?

BGH versagt ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff Schutz seiner Privatsphäre

Autor: Rechtsanwalt Christian Zahnow, LL.M.

Christian Wulff hat vor dem Bundesgerichtshof eine überraschende Niederlage erlitten. Der 6. Zivilsenat (BGH, Urteil vom 06. Februar 2018 – VI ZR 76/17 –) hob die vorangegangenen Urteile des Landgerichts Köln und des Oberlandesgerichts Köln auf und wies damit eine Klage des ehemaligen Bundespräsidenten auf Unterlassung der Veröffentlichung von Fotos ab, die diesen ohne seine Einwilligung nach einem Supermarkt-Einkauf zeigen.

Paparazzi-Fotos auf dem Supermarktparkplatz

Die streitgegenständlichen Fotos zeigen den ehemaligen Bundespräsidenten einen vollen Einkaufswagen vor sich herschiebend. Ein anderes Fotos ze igt ihn zusammen mit seiner EhefrauBettina vor seinem Auto. Die Fotos waren ohne Einwilligung der beiden von einem Paparazzo auf dem Gelände eines Supermarktes geschossen worden.

Mit dem Einkaufswagen auf dem Supermarktparkplatz – ein Bildnis der Zeitgeschichte ?

In den Begleittexten zu den Foto s wird die Versöhnung von Christian Wulff mit seiner Ehefrau thematisiert. Der inhaltliche Bezug dieser Begleittexte zu den Supermarktparkplatz-Fotoswird u.a. wie folgt hergestellt:

„Nach der Versöhnung – Christian Wulff – Wer Bettina liebt, der schiebt“
und
„Hab den Wagen vollgeladen … Christian Wulff beim Großeinkauf. Glücklich sieht er hier aber nicht aus“.

Nach Ansicht des BGH sollen die Fotos, die das Schieben des Einkaufswagens sowie das Warten vor dem Auto abbilden, Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte darstellen. Begründung: Die Versöhnung der Wulffs sei ein Ereignis der Zeitgeschichte und würde mit den Supermarkt-Fotos bebildert.

Privilegierte Berichterstattungen – die Regelung des § 23 Abs. 1 KUG

Um die Argumentation des BGH nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf die streitentscheidende Norm notwendig: Nach der Regelung des § 23 Abs. 1 KUG dürfe n Fotos auchgegen den Willen des Abgebildeten veröffentlicht werden. Voraussetzung ist dann aber, dass dieses Foto ein „Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ ist.

Die Versöhnung der Wulffs, die Gegenstand der Berichterstattung war, wird man dem Bereich der Zeitgeschichte zuordnen dürfen: Als ehemaliger Bundespräsident ist Herr Wulff noch immer eine Person, auf die sich das Informationsinteresse der Öffentlichkeit bezieht (public figure). Dabei bezieht sich das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht nur auf seine politische Tätigkeit, sondern auch darauf, wie dieser als ehemals herausragende politische Persönlichkeit sein Leben nach Beendigung seines Amt als Bundespräsident gestaltet. Thematisch betrachtet kann die Versöhnung mit seiner Ehefrau hierzu gehören. Ob das Schieben eines Einkaufswagens thematisch hierzu gehört, darf bezweifelt werden. Ob die thematische Verknüpfung durch dieWorte „Wer Bettina liebt, der schiebt“ hergestellt werden kann, ebenfalls. Die Interpretation des BGH geht sehr weit. So manch einer fühlt wieder in die Zeit um das Jahr2004 zurückversetzt.

Rückblende: Privatsphärenschutz von Prominenten vor dem Jahr 2004

Vor dem Jahr 2004 war es eine ausgemachte Sache: Wenn ein Foto jemanden zeigte, auf den sich das Interesse der Öffentlichkeit bezog, dann endete dessen Privatsphärenschutz ni cht selten schon vor seiner Haustür. Sog. „Absolute Personen der Zeitgeschichte“ hatten die größten Einbußen an Schutz ihrer Privatsphäre hinzunehmen. Der Grund: Bildnisse von absoluten Personen der Zeitgeschichte galten dem Bereich der Zeitgeschichte zugehörend und waren damit ein Anwendungsfall von § 23 Abs. 1 KUG. Die Folge: Außerhalb seiner eigenen  4 Wände konnte ein Betroffener beinahe in jeder Situation von Paparazzi abgelichtet werden. Eine Ausnahme machte der BGH damals nur, wenn sich der Prominente in eine sog. „örtliche Abgeschiedenheit“begeben hat und sich dort so verhielt, wie sie es in den Augen einer breiten Öffentlichkeit nicht tun würde. Das Bundesverfassungsgericht erweiterte diese Ausnahme noch dahingehend, dasseine örtliche Abgeschiedenheit auch unabhängig vom Verhalten des Betroffenen Privatsphärenschutz entfalte. Doch all dies nütze nichts. Im Jahre 2004 trat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auf den Plan und kritisierte die deutsche Rechtsprechung.

Die Caroline-Entscheidung des EGMR

Nach Ansicht des EGMR war der Schutz der Privatsphäre von Personen, die im öffentlichen Interesse stehen, durch die deutsche Rechtsprechung nur unzureichend gewährleistet. Der EGMR kritisierte, dass absolute Personen der Zeitgeschichte es hinnehmen mussten, fast jederzeit und systematisch fotografiert zu werden. Im übrigen könne die betroffene Person nie sicher sein, wann sie sich in einem geschützten Bereich aufhalte und wann nicht. Weiterhin kritisierte der EGMR die Mittel der Informationsbeschaffung: Caroline von Hannover wurde von Paparazzi verfolgt – die Fotos ohne ihre Einwilligung veröffentlicht.

Spätestens an dieser Stelle treten die Parallelen zu unserem Fall deutlich zu Tage:

Auch Christian Wulff hat sich beim Einkaufen bei einer privaten Tätigkeit befunden. Auch er war nicht damit einverstanden, dass sein Foto veröffentlicht wird. Und auch er wurde von einem Paparazzo gegen seinen Willen fotografiert.

Nachbesserungsbedarf für den BGH

Der BGH rückt mit seiner Entscheidung inhaltlich gefährlich nah an die Rechtsprechung heran, die mit der Caroline-Entscheidung des EGMR als überwunden galt: Er gibt die Privatsphäre Prominenter der Öffentlichkeit preis. Dabei ist es schon höchst fragwürdig, ob die Geschehnisse vor dem Supermarkt als ein „Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ angesehen werden können. Denn das Schieben eines Einkaufswagens wurde zwar inhaltlich durch den Text „Wer Bettina liebt – der schiebt“ mit den Geschehnissen um die Trennung der beiden verbunden. Eine solche Berichterstattung kann aber auch schnell einmal vorgeschoben werden. Was wäre denn gewesen, wenn Christian Wulff den Einkaufswagen nicht geschoben hätte, sondern eine andere Person ? Hätte das Bild dann noch als Aufhänger für die Berichterstattung herhalten können ? Woher weiß Christian Wulff, was er in der Öffentlichkeit ungestört tun darf – und was nicht ? Woher weiß er, womit eine Zeitschrift sein Verhalten in Verbindung bringen wird ?

Normative Tatbestandsmerkmale für die Rechtsfindung

Der BGH definiert das Tatbestandsmerkmal „Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ durch eine Interessenabwägung. Es wäre aber angezeigt, dieses Merkmal durch weitere Tatbestandsmerkmale inhaltlich so weit zu konkretisieren, dass die Fachgerichte und die Betroffenen wissen, wo ihre Privatsphäre beginnt – und wo sie endet. Eine inhaltliche Fokussierung könnte dahingehend erfolgen, ob die Presse Angelegenheiten von öffentlichem Belang ernsthaft und sachbezogen erörtert. Wenn dies festgestellt ist (und im vorliegenden Fall kann dieses Merkmal nicht eindeutig, sondern gerade einmal so eben bejaht werden), dann ist im weiteren Verlauf der juristischen Prüfung die Regelung des § 23 Abs. 2 KUG in den Blick zu nehmen – denn diese schützt die Privatsphäre von Prominenten.

Schutz der Privatsphäre – die Regelung des § 23 Abs. 2 KUG

Nach § 23 Abs. 2 KUG ist selbst dann, wenn das Foto als ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte angesehen werden kann, eine Veröffentlichung dennoch unzulässig, wenn ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird. Eine solche Verletzung muss nach der Caroline-Entscheidung des EGMR in jedem Fall dann angenommen werden, wenn Paparazzi Menschen systematisch nachstellen, ganz gleich ob dies heimlich oder offen geschieht. Das Nachstellen durch Paparazzi hat eine ganz erhebliche Beeinträchtigung der Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen zu Folge, vor allem dann, wenn er gar nicht weiß, was als nächstes über ihn berichtet wird und welche Handlungen von ihm unter den Schutz seiner Privatsphäre fallen und welche nicht.

Die Sphärentheorie – Der Supermarkteinkauf als Teil der Sozialsphäre ?

Im Gegensatz zu den Vorinstanzen sieht der BGH den Einkauf von Christian Wulff im Supermarkt als zu seiner Sozialsphäre gehörend an. Hieran ist richtig, dass – räumlich betrachtet – mit dem Verlassen der eigenen 4 Wände die Sozialsphäre beginnt. Da der BGH aber sicher nicht ausdrücken wollte, dass Prominente neuerdings wieder mit dem Zuschlagen ihrer Haustüre ihre Privatsphäre vollständig hinter sich lassen, würde eine räumliche Betrachtung hier wenig weiterführen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Sphärentheorie auf den vorliegenden Fall in thematischer Hinsicht anzuwenden. Herr Wulff ist kein Supermarkt-Kritiker oder Lebensmittel-Tester. Vielmehr wird berichtet, dass er den Supermarkteinkauf für sich und seine Ehefrau erledigt hat. Thematisch betrachtet ist der Supermarkteinkauf – und das hatten die Vorinstanzen schon richtig eingeschätzt – damit Teil seiner Privatsphäre.

Ausblick

Wenn Prominente von Paparazzi fotografiert werden, und dies in einer Situation außerhalb ihrer öffentlichen Funktionen geschieht, dann ist bei der Veröffentlichung solcher Fotos Zurückhaltung geboten. Schon im Rahmen der Bestimmung des Begriffs „Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ ist ein innerer Zusammenhang der Abbildung auf dem Foto mit dem zeitgeschichtlichen Thema zu fordern. Wenn dieser Zusammenhang konstruiert erscheint („wer Bettina liebt, der schiebt“), dann ist im weiteren Verlauf der juristischen Prüfung ein besonderes Augenmerk auf die Belange des Abgebildeten zu richten: Ist er in einer gewöhnlichen Alltagssituation gezeigt ? Wie ist das Foto entstanden ? Sodann ist sein Recht auf ungestörte Entfaltung seiner Persönlichkeit – zu der es Privatsphäre auch außerhalb der eigenen 4 Wände braucht – mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der konkreten Abbildung abzuwägen. Es wird nicht verwundern, wenn hier das eine oder andere Mal mehr das Ergebnis erzielt wird, dass eine Abbildung doch eher der Befriedigung von Neugier dient und es deshalb nicht angemessen ist, die Privatsphäre des Betroffenen hierfür zu opfern.

 

Bild: Shutterstock