Zur vorschnellen Annahme einer Schmähkritik – „die durchgeknallte Staatsanwältin“
Anmerkung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 2646/15
Autor: Rechtsanwalt Christian Zahnow, LL.M.
26. April 2018 – In einem Aufsehen erregenden Fall hatte der Erste Senat des Bundesverfassungs-gerichts vor einiger Zeit über die Verfassungsbeschwerde eines Rechtsanwalts zu entscheiden, der sich in abfälliger Weise über eine Staatsanwältin geäußert hatte. Den Äußerungen voraus-gegangen war ein Haftbefehl gegen dessen Mandanten. Während des Haftprüfungstermins griff der Rechtsanwalt die mit dem Fall betraute Staatsanwältin verbal an und verlies die Sitzung noch vor dem offiziellen Ende. Im Laufe desselben Tages erhielt der Rechtsanwalt einen Anruf von einem Journalisten. Während dieses Gespräches äußerte sich der Rechtsanwalt – der noch immer sehr aufgebracht war – wie folgt über die Staatsanwältin:
„dahergelaufene Staatsanwältin“, „durchgeknallte Staatsanwältin“, „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, „geisteskranke Staatsanwältin“.
Daraufhin wurde er vom Landgericht Berlin zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 EUR verurteilt. Seine Revision wurde vom Kammergericht verworfen. Daraufhin erhob der Rechtsanwalt Verfassungsbeschwerde.
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit den Tatbeständen der Beleidigung und der Schmähkritik auseinanderzusetzen – und entfaltete dabei eine ungewöhnliche Schutzrichtung der Schmähkritik.
Definition der Beleidigung
Eine Beleidigung wird von der Rechtsprechung wie folgt definiert:
Beleidigung = ein Angriff auf die Ehre eines anderen durch die Kundgabe seiner Missachtung oder Nichtachtung
Bsp.:“Du bist ein Idiot!“
Einen Spezialfall bildet die sog. „Formalbeleidigung“.
Formalbeleidigung = eine Beleidigung, die aus der Form der Äußerung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.
Bsp.: „Du bist ein Halsabschneider!“
Selbst wenn es inhaltlich zutrifft und der Geschädigte tatsächlich andere stark übervorteilt und daher zu Recht als Halsabschneider bezeichnet werden könnte, stellt die Bezeichnung „Halsabschneider“ eine Formalbeleidigung dar.
Definition der Schmähkritik
Die Schmähkritik wird von der Rechtsprechung wie folgt definiert:
Schmähkritik = eine herabsetzende Äußerung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
Bsp.: „Du bist ein vollkommen unfähig“
Beleidigung oder Schmähkritik ?
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage zu beantworten, ob der Rechtsanwalt zu Recht wegen Beleidigung verurteilt worden war. Im Ergebnis lies der Senat keinen Zweifel daran, dass sich der Rechtsanwalt wegen Beleidigung strafbar gemacht hat, monierte aber die Begründung der Instanzgerichte, die angenommen hatten, dass die Äußerungen des Rechtsanwalts Ausdruck einer „Privatfehde“ seien und und die Beleidigte als Person in den Vordergrund stellten.
Tatbestandlich erkannte das Bundesverfassungsgericht hierin die Voraussetzungen einer Schmähkritik und unterstellte den Instanzgerichten, dass diese zu Unrecht eine Schmähkritik angenommen hatten.
Aus diesem Grunde hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen der Instanzgerichte auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurück.
Neue Schutzrichtung der Schmähkritik ?
Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit verkürze. Damit entfaltete der Tatbestand der Schmähkritik hier – und das ist ungewöhnlich – eine die Meinungsfreiheit schützende Funktion. Für gewöhnlich begrenzen Schmähkritiken die Meinungsfreiheit anderer. Das Landgericht Berlin hatte den Ausdruck Schmähkritik ausdrücklich gar nicht verwendet, musste sich aber zu Recht vorhalten lassen, den zugrundeliegenden Sachverhalt in eine falsche Richtung interpretiert zu haben. Eine neue Schutzrichtung der Schmähkritik ist hierin aber nicht zu erblicken. Vielmehr sollte ihrer irrigen Annahme ein Riegel vorgeschoben werden.
Fazit:
Im Rahmen von Äußerungsdelikten ist schon aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben eine sorgfältige Aufarbeitung des zugrunde liegenden Sachverhaltes geboten. Dieser darf nicht verkürzend wiedergegeben oder gar unter der irrigen Annahme von nicht gegebenen Bedingungen in eine falsche Richtung interpretiert werden. In der falschen Einschätzung eines Tatbestandes als Schmähkritik kann bereits ein Verfassungsverstoß liegen, ohne dass es dann auf die tatbestandlichen Wirkungen der Schmähkritik noch ankäme.
Offen lassen konnte das Bundesverfassungsgericht deshalb auch die Frage, ob es sich bei den Ausdrücken „durchgeknallt“ und „geisteskrank“ um Formalbeleidigungen handelte.
Bild: Shutterstock
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